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Leben - Klagenfurt
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Klagenfurt 500

Die Festreden zum Festakt

Klagenfurt – Heute gab es drei Festreden im Wappensaal. Gehalten von Josef Winkler, Claudia Fräss-Ehrfeld und Konrad Paul Liessmann. Schriftsteller Josef Winkler übte während der Feier mit seiner Rede heftige Kritik an die Stadt Klagenfurt und sorgte für einen medialen Wirbel.

 71 Minuten Lesezeit (8529 Wörter) | Änderung am 25.04.2018 - 08.30 Uhr

Den Hauptartikel zum Festakt finden Sie hier.

Josef Winkler: 'DER TAG WIRD KOMMEN'

Bei unserem allerersten Ausflug in die Kärntner Landeshauptstadt stiegen wir Kinder der Dorfvolksschule Kamering am Bahnhof in Klagenfurt am Walther-von-der-Vogelweide-Platz aus dem Omnibus und gingen mit der Lehrerin Waltraud Stoxreiter und mit dem Lehrer Emanuel Wenger in die Stadt hinein. Alle Menschen auf der Bahnhofstraße grüßten wir, zu jedem sagten wir: „Grüß Gott! Grüß Gott!“ Manche grüßten freundlich und beglückt zurück, andere gingen hochnäsig vorbei, manche fühlten sich sogar gefrotzelt. Dann gab uns der Lehrer zu verstehen, daß wir die Leute in der Stadt nicht grüßen müssen. Ich war entsetzt und fragte mich mit schlechtem Gewissen, da ich keinen Vorbeigehenden mehr grüßte, wie so etwas möglich ist auf dieser Welt, daß Menschen einander nicht grüßen! Am nächsten Abend besuchten wir im Stadttheater Klagenfurt „Die Zauberflöte“. Das erste Mal in meinem Leben saß ich auf einem gepolsterten Klappsessel. Als ich während der Vorstellung vom Sessel aufstand, meinen Anzug richtete und mich, ohne mich umzusehen, wieder hinsetzen wollte, landete ich unter dem Gelächter meines Mitschülers Leopold Dobrautz auf dem Boden. Ich wollte mich vor Scham unter den Sesseln verkriechen, aber dann kam lautstark die Königin der Nacht mit ihrer Arie: „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen!“ Neugierig erhob ich mich und setzte mich auf den roten Klappsessel.

Das waren meine ersten Begegnungen mit der Stadt Klagenfurt.

„Es braucht Jahre, bis Gras über eine Sache gewachsen ist, und da kommt dann ein blöder Esel und frißt das Gras wieder ab!“, sagte die berühmte Jazzsängerin Billie Holiday. Es ist immer das alte Lied und dieselbe Leier, aber mit einer Leier kann man bekanntlich auch einen schönen Klang erzeugen, wenn man es kann und vor allem will. Also beginne ich diese Rede mit einer Paraphrase aus dem „Woyzeck“ von Georg Büchner: „Wenn wir den Himmel sehen wollen, müssen wir donnern helfen!“ Seit meiner Eröffnungsrede zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb im Jahr 2009 ist fast ein Jahrzehnt vergangen. Ich habe damals bekanntlich eine Stadtbibliothek gefordert. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat Klagenfurt keine eigene Stadtbibliothek, das ist in Mitteleuropa einzigartig. Die kleine sogenannte „Studienbibliothek“ in der Kaufmanngasse am heutigen Marktgelände, die Anfang der 80er Jahre in die damals neugegründete Hochschule für Bildungswissenschaften in der Keltengasse eingegliedert wurde, war eine Einrichtung der Republik Österreich, nicht der Stadt Klagenfurt. Graz hingegen, nur dreimal so groß wie Klagenfurt, hat sieben Stadtbibliotheken und eine Mediathek. Wien hat vierzig Stadtteilbibliotheken, und ganz nebenbei gibt es dort die Arbeiterkammerbibliothek mit 500.000 Medien in der Prinz-Eugen-Straße. Graz hat eine Arbeiterkammerbibliothek mit 200.000 Medien.

Österreich, meine Damen und Herren, ist eines der wenigen Länder in Mitteleuropa, die kein Bibliotheksgesetz haben. Mit einem bundesweiten Bibliotheksgesetz wäre die Stadt Klagenfurt gezwungen, eine Bibliothek zu errichten, mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie es hier eine Bezirkshauptmannschaft und eine Polizei gibt. Stattdessen hat Klagenfurt mit einer Einwohnerzahl von 100.000 Menschen ein Fußballstadion mit 33.000 Sitzplätzen. Das wäre genauso, wie wenn man in der Zwei- Millionen-Stadt Wien ein Stadion mit 700.000 Sitzplätzen oder zehn Stadien mit jeweils 70.000 Sitzplätzen gebaut hätte. Um dieses leere Klagenfurter Stadion halbwegs profitabel, also mit 50 bis 100 Veranstaltungen pro Jahr füllen zu können, müßte man den halben Annabichler Friedhof ausgraben, dann könnten in den Schlachtenbummlerrängen die Skelette auf ihre eigenen Totenköpfe trommeln und unsere Klagenfurter Fußballmannschaft anfeuern, die es auch schon lange nicht mehr gibt in der ersten Bundesliga. Das Stadion war im Jahr 2017 nur dreimal gefüllt. Schon Udo Jürgens hat es als „Klotz am Bein der Stadt Klagenfurt“ bezeichnet. Es wurde für die Fußballeuropameisterschaft 2008, also für 4 ½ Stunden internationalen Fußball gebaut, und hat bis heute weit über 100 Millionen Euro an Bau- und Instandhaltungskosten verschlungen.

Ganz zu schweigen vom Kärntner Hypo-Banken-Desaster, das wir Kapitalverbrechern und korrupten Politikern zu verdanken haben. Erst kürzlich ist mir die Fußfessel mit dem Spitznamen „Ich hab noch einen Tilo in Berlin“ auf dem Neuen Platz über den Weg gelaufen. Die vornehme, am Fußknöchel herumhängende, schräge, elektronisch mit dem Gefängniswärter verbundene Dame begleitete den schwerfällig gehenden, 200 Millionen-Euro schweren Herrn zur bescheidenen 3 Fritattensuppe auf den Benediktinermarkt. Studenten der Technischen Universität Wien haben ausgerechnet, daß man mit den fast 20 verpulverten Milliarden des Hypo-Desasters eine Stadt für 100.000 Einwohner bauen könnte, und seien es die jetzt noch verbleibenden 8 Milliarden, so haben die Kapitalverbrecher und politischen Ganoven, die einst heuchlerisch und wehleidig „Paßt mir auf mein Kärnten auf!“ gerufen haben, das Land immerhin um eine Stadt in der Größenordnung von Villach gebracht. Mit diesem Satz, den der NS-Gauleiter Friedrich Rainer, der sich in den letzten Kriegstagen im Klagenfurter Kreuzberglbunker verschanzt hatte, in seiner letzten Radioansprache an das Volk gebrauchte, hat sich schon der verstorbene Landeshauptmann verraten mit denselben Worten: „Paßt mir auf mein Kärnten auf!“ Das Land Kärnten gehörte offenbar nicht den 550.000 Einwohnern, weil es ja sein Kärnten war und möglicherweise für viele noch immer sein Kärnten ist. Auch Jörg Haiders Nachfolger zogen im Jahr 2009 mit einem Fingerzeig in den Himmel: „Wir passen – garantiert – auf dein Kärnten auf!“ in ihren siegreichen Wahlkampf. „Es gibt Menschen, die nur das anbeten, was sie vernichten können“, schreibt Friedrich Hebbel in seinen Tagebüchern.

Einen Wert von 10 Milliarden Euro, jene Summe, die sich in Kärnten beim Hypo-Desaster in Luft aufgelöst hat, haben übrigens die gesamten österreichischen Goldbestände, die in Wien, London und Zürich eingelagert sind. Um die Politik Willy Brandts zu unterstützen, drückte bei einem Parteitag im Oktober 1972, also ein Jahr vor dem Tod von Ingeborg Bachmann, der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll seine Abscheu vor den Mächtigen, die keine Scham haben, mit folgenden Worten aus: „Es gibt nicht nur eine Gewalt auf der Straße, Gewalt in Bomben, Pistolen, Knüppeln und Steinen, es gibt auch Gewalt und Gewalten, die auf der Bank liegen und an der Börse hoch gehandelt werden.“

Dann und wann hört man auch und vor allem von bestimmten Herren aus der FPÖ, daß ich ein „Kärnten-Hasser“ sei. Die korrupten Politiker und Kapitalverbrecher, die ich bei meiner Eröffnungsrede beim Ingeborg- Bachmann-Literaturwettbewerb im Jahr 2009 und später immer wieder aufs literarische Korn genommen habe, haben inzwischen alle entweder hohe Geldstrafen oder eine Fußfessel bekommen, oder sie sind im Gefängnis gelandet, alle! Kein Einziger ist verschont geblieben! Und der eine oder andere wird demnächst wieder vor Gericht erscheinen müssen. Friedrich Hebbel schreibt in seinem Tagebuch von Schlangen, die erst beißen und dann dem Gebissenen den schwarzen Giftfleck zum Vorwurf machen. Lassen Sie sich das gesagt sein, meine Damen und Herren von der FPÖ, die wahren Kärnten-Hasser sind selbstverständlich diejenigen, die das Land in den Ruin getrieben haben. Und wenn die Republik Österreich den durch das Hypo-Banken-Desaster entstandenen Kärntner Schuldenberg in der Höhe von ungefähr 10 Milliarden Euro nicht aufgefangen hätte, gäbe es heute vielleicht noch eine offene Schule oder ein offenes Krankenhaus in diesem Land? „Wenn vor uns die Sintflut ist, dann drehen wir uns einfach um, dann ist hinter uns die Sintflut!“ Das scheint die Devise bestimmter Herren von der FPÖ zu sein. Und wenn Sie mich noch mehr reizen wollen mit Ihrer Unterstellung, daß ich, der seit einem halben Jahrhundert in diesem Land lebt, ein Kärnten-Hasser sei, dann sage ich, daß ich eigentlich dafür bin, die Urne des verstorbenen Landeshauptmannes in eine bewachte Gefängniszelle zu verlegen, denn es könnte ja sein, daß er wie ein Phönix aus seiner Asche steigt und wieder sein Unwesen treibt und als blaues Wunder verkauft, denn schon zu Lebzeiten hat er öfter gesagt: „Ich bin weg! Ich bin wieder da! Ich bin wieder weg! Und gleich wieder da!“ Einbalsamieren! Ausbalsamieren! Einbalsamieren! Ausbalsamieren! Dann bin ich wieder da! Denn ich bin die liebe Mumie und aus dem Bärental kumm i e, um eine Gedichtzeile von H.C. Artmann zu paraphrasieren. Immer wieder werde ich gefragt, warum ich denn überhaupt noch in Kärnten lebe. Ich antworte mit einem Satz des deutschen Filmemachers und Schriftstellers Herbert Achternbusch, der über seine bayrische Heimat gesagt hat: „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe, bis man ihr das ansieht!“

Nun kehre ich wieder zur Bibliothek zurück, die sich in Klagenfurt am Wörthersee seit 70 Jahren auf Tauchstation befindet. Kärnten gibt für Bibliotheken jährlich einen Euro pro Einwohner aus. In Wien oder Vorarlberg sind es zehn Euro. In Dänemark oder Finnland mit den guten Pisa-Ergebnissen, sind es bis zu 60 Euro. Wenn das Angebot da ist, ist auch der Zulauf da. Inzwischen hat Spittal an der Drau – dank Peter Haselsteiner – die schönste und modernste Stadtbibliothek von Kärnten, und die Ausleihzahlen für Bücher sollen dort enorm sein. Im englischen Birmingham wurden 200 Millionen Euro für eine neue Bibliothek 5 ausgegeben. Sie ist von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr abends so voll wie ein Einkaufszentrum. Ich war entsetzt, als ich einmal in einer Klagenfurter Buchhandlung mit einer jungen Frau sprach, die mit ihren beiden Kindern gerade dabei war, ein Buch auszusuchen, und die zu mir sagte: „Da wir die Regale der Kinderbücher in der Arbeiterkammerbibliothek schon abgegrast haben, muß ich die Bücher kaufen. Und am Ende des Monats muß ich mich entscheiden, entweder ich fülle großzügig den Kühlschrank oder ich kaufe ein paar Bücher für meine Kinder.“ So gesehen, dachte ich beim Weitergehen, mit dem Wort „BücherEHRabschneider“ auf den Lippen, hätte ich das größte Verständnis dafür, wenn diese Mutter zweier Kinder ihre Bücherrechnungen an den Magistrat der Stadt Klagenfurt schicken und bei Nichtbezahlung bis zum Obersten Gerichtshof gehen würde, denn eine Bibliothek ist ein Menschenrecht, nicht nur im restlichen Mitteleuropa, sondern auch in Klagenfurt am Wörthersee! Wie es in einer Informationsschrift des Deutschen Bibliotheksverbandes heißt, sind „Investitionen in Bibliotheken Investitionen in die Köpfe der Menschen. Und dazu noch Investitionen, die sich rechnen. Durch viele internationale Studien ist belegt, daß jeder investierte Euro fünffach zurückkommt.“

Öffentliche Bibliotheken, so heißt es weiter, sind längst keine tristen Ausleihstationen mehr, sondern Lernorte – mit perfekter Multimedia- Ausstattung, Gruppenräumen und ruhigen Arbeitsplätzen.
Ich habe mich, während ich aus der Buchhandlung ging, die Worte „Die BücherEHRabschneider von Klagenfurt“ auf den Lippen, an die Zeit in meinem bäuerlichen Heimatdorf Kamering erinnert, als ich einmal meine Mutter, die in ihrem Leben kein einziges Buch gelesen hatte, um Geld für den Kauf eines Buches bat, worauf sie geantwortet hat: „Für Bücher haben wir kein Geld!“ Nach diesen Worten ist für mich als Kind eine Welt zusammengebrochen, bevor ich sie überhaupt kennenlernen durfte, nämlich die Welt der Bücher, die Welt der Literatur, die Welt meiner Zukunft. Zu einer Zeit, als die Karl-May-Filme mit Pierre Brice und Lex Barker in der österreichischen Provinz anliefen und wir Kinder von Kinosaal zu Kinosaal eilten, von Ferndorf nach Feistritz an der Drau, öffnete ich irgendwann mit hochrotem Kopf und zitternden Händen die Schublade in der Speisekammer und nahm heimlich Geld aus Mutters schwarzer, mit gelben Sternchen übersäter Brieftasche, um mir „Winnetou I“ und „Winnetou III“ und den „Schatz im Silbersee“ kaufen zu 6 können. Beim Lesen der Karl-May-Bücher bin ich süchtig nach Büchern geworden und habe schließlich nach einiger Zeit gerechterweise nicht mehr von meiner Mutter, sondern von meinem Vater über mehrere Jahre Geld für Bücher gestohlen – auch das eingesammelte Geld für die wöchentlich im Dorf ausgeteilten „Kirchenblätter“ der Pfarrerköchin einfach nicht mehr abgeliefert. Schließlich sind es dreißig, vierzig Karl- May-Bücher geworden, die ich mit gestohlenem Geld erworben habe. Der Zufall wollte es, daß mir als Vierzehnjährigem im Bücherregal der verehrten Lehrerin Waltraud Stoxreiter „Die Pest“ von Albert Camus auffiel und ich das Buch auf unseren Bauernhof mitnehmen durfte. Mit dem Roman „Die Pest“ hat mein Lesemarathon begonnen. Damals heftete ich gemeinsam mit meinem Schulfreund Hermann Deweis ein Plakat mit einem Satz des Literaturnobelpreisträgers Alexander Solschenizyn neben einem blühenden Marillenbaum auf unsere desolate Heustadelwand: „Eine Literatur, die nicht den Schmerz und die Unrast der Gesellschaft wiedergeben kann, die nicht rechtzeitig vor den moralischen und sozialen Gefahren warnen kann, verdient den Namen Literatur nicht.“ Niemand wagte es, das Plakat von der Heustadelwand zu reißen, jahrelang nicht. In eine saftige Marille beißend, blieben die Dorfleute vor der Heustadelwand stehen und lasen langsam und bedächtig den großgedruckten Satz von Alexander Solschenizyn.

Bereits als Jugendlicher, als ich noch in die Handelsschule ging, las ich Weltliteratur. Die Unterhaltungsliteratur, in der ich dann und wann geschmökert hatte, interessierte mich nicht. Später las ich in den Tagebüchern des französischen Dichters Julien Green, der in Klagenfurt in der Stadtpfarrkirche begraben liegt: „Die Unterhaltungsliteratur wird vom Teufel geschrieben. Und wir werden wohl nie erfahren, was diese Art von Literaturgattung in der Menschheitsgeschichte angerichtet hat.“ Vor ein paar Jahrzehnten hat es die Klagenfurter Stadtregierung verabsäumt, für zehn Millionen Schilling, also ca. 700.000 Euro, die umfangreichen Originalmanuskripte und Tagebücher des weltberühmten Dichters Julien Green zu kaufen, angeblich um die 40.000 Seiten. Ein einziges Romanmanuskript hätte heute diesen Verkaufswert, erzählte mir der vor kurzem verstorbene Monsignore Markus Mairitsch. Julien Green wollte seine letzten Jahrzehnte in Klagenfurt verbringen. Man hätte ihm nach seinem Wunsch eine große Wohnung oder ein Haus zur Verfügung stellen sollen, wo er seine Bibliothek mit 35.000 Bänden – darunter unzählige antiquarisch wertvolle Bücher – und seine Möbel aus dem Erbe seiner Großeltern aus den amerikanischen Südstaaten unterbringen wollte. Das alles wäre heute im Besitz der Stadt Klagenfurt. Von überall würden Wissenschaftler kommen, aus Japan und aus Amerika, aus Frankreich und aus Australien, um die Originalmanuskripte von Julien Green im Literaturarchiv des Musil-Hauses betrachten und damit forschen zu können. Außerdem hätte man durch die ungefähr noch anderthalb Jahrzehnte lange Anwesenheit von Julien Green in Klagenfurt eine traurige Lücke schließen können, denke ich manchmal, denn Ingeborg Bachmann ist schon vor langer Zeit fortgegangen und erst als Tote aus Rom nach Klagenfurt wiedergekehrt, auf den Annabichler Friedhof. Als Toter ist auch der 98jährig in Paris verstorbene Julien Green nach Klagenfurt überführt worden, nachdem ihm der damalige Bischof von Gurk, Egon Kapellari, zu Lebzeiten ermöglicht hatte, in der Stadtpfarrkirche St. Egid eine Gruft zu kaufen, unter einem am Altar stehenden Marienbild, das ihn tief berührt hatte. Als Julien Green einige Jahre vor seinem Tod wieder einmal Klagenfurt besuchte und seine zukünftige Gruft, die gerade renoviert wurde, inspizierte, rutschte er auf dem feuchten Beton aus, fiel zu Boden und sagte: „Noch nicht!“ So erzählte es mir der kunstsinnige Monsignore Markus Mairitsch, der von Julien Green zu seiner letzten Ölung nach Paris gerufen wurde.

„Nichts, was so das Leben staut wie das Lesen; Lies! Staukraftwerk Lesen“ heißt es im Notizbuch „Gestern unterwegs“ bei Peter Handke, der im zwanzig Kilometer von Klagenfurt entfernten Griffen aufgewachsen und, wie Ingeborg Bachmann auch, fortgegangen ist, zuerst längere Zeit nach Salzburg, dann nach Paris. Vom inzwischen verstorbenen Journalisten André Müller wurde Peter Handke einmal gefragt, ob er sich für ein Genie halte. Peter Handke hat geantwortet: „Ich bin auch kein Schriftsteller! Ich schreibe, ich habe geschrieben, ich werde geschrieben haben!“ Ich war glücklich über diese Sätze, als ich sie nach einem längeren Mexiko- Aufenthalt im Flugzeug von Toronto nach Frankfurt in der „Frankfurter Rundschau“ las. Ja, das ist es! dachte ich mir. Auch das ist Schreiben! Schreiben, meine Damen und Herren, kann man bis zu einem gewissen Grad sogar lernen, auch wenn sich die Worte von Peter Handke querstellen gegen das sogenannte „Schreibenlernen“, wenn er sagt: „Mein einziges Talent ist seit jeher die Sehnsucht gewesen; zum Beispiel habe ich nie schreiben können, als Können…“ Schreiben, sage ich, wenn auch nicht im Sinne von Dichtung, lernt man durch das Lesen guter Bücher und durch diszipliniertes Üben, wenn man auch bereit ist, den Kampf mit der Sprache aufzunehmen, auch beim Tagträumen, wenn wir eben nicht Löcher, sondern Bilder in die Luft schauen. Aber um lesen zu können, braucht man Bücher, und Klagenfurt hat seit dem Zweiten Weltkrieg – zum Teufel noch einmal – keine eigene Stadtbibliothek. Wird man vielleicht ein ganzes Jahrhundert vergehen und Klagenfurt ohne Bücher dumm sterben lassen? Viel Zeit bleibt nicht mehr auf die hundert Jahre! Was für eine Errungenschaft: 70 Jahre lang keine Bibliothek, schließlich hat man sich dadurch viele Millionen Euro erspart für ein leeres, größenwahnsinniges Fußballstadion. Für die Kapitalverbrechen mit der Hypo-Bank blieb auch mehr Spielraum, ja, es war ein teuflischer Spiel-Raum. „Teufel! Teufel! Doppelteufel! Achtmalteufel!“ hat mein Vater oft geflucht, wenn er ungeduldig die kaputte Melkmaschine reparierte. Wie Julien Green ist mein Vater fast hundert Jahre alt geworden. Ein einziges Buch hat er als Kind gelesen, nämlich „Tausend und eine Nacht“ in einem Sommer in der
Innerkrems, als der Vierzehnjährige die dreißig Schafe seines Vaters auf der Alm hütete. Im Frühherbst, beim Almabtrieb, suchte er unter den 1000 Schafen der anderen Bauern seine Tiere heraus: „Alle Schafe habe ich an den Gesichtern wiedererkannt und herausgeklaubt aus den anderen!“, sagte mein Vater zu mir. Und hätte er in diesem Sommer nicht „Tausend und eine Nacht“ gelesen, hätte er seine 30 Schafe nicht wiedererkannt an ihren Gesichtern und aus der 1000-und-1-Schafherde nicht mehr herausgefunden. Und schon gar nicht hätte er sie auf seinem fliegenden Perserteppich sicher über das sogenannte „Tal der stürzenden Wasser“ mit der reißenden Lieser und Malta bis ins 70 Kilometer entfernte Heimatdorf zurückbringen können.

Beim Deutschen Bibliotheksverband heißt es, daß in einer Stadt pro Einwohner zwei Medien in einer Stadtbibliothek zur Verfügung stehen müßten. Also haben uns, die wir hier seit Jahrzehnten leben, die BücherEHRabschneider von Klagenfurt um 200.000 Bücher betrogen. Ich habe mir schon überlegt, meine Damen und Herren, ob ich vielleicht während der Zeit des „Ingeborg-Bachmann-Literatur-Wettbewerbes“, während die internationale Presse anwesend ist, für die erste 9 Stadtbibliothek von Klagenfurt in den Hungerstreik treten und mein Zelt auf dem Neuen Platz beim Lindwurm aufschlagen sollte. Wie sagte schon der französische Essayist Paul Valery: „Man darf nicht zögern, das zu machen, was einen die Hälfte seiner Anhänger kostet und die Hälfte der Liebe derer, die noch übrig sind.“ Vor einigen Jahren fuhr ich mit dem Zug von Zagreb über Ljubljana nach Klagenfurt. In meinem Zugabteil saßen zwei Universitätsprofessoren aus Deutschland, die sich ständig über ihr medizinisches Fach unterhielten. Als wir schließlich kurz vor Villach doch noch ins Gespräch kamen, fragte mich der eine, da der Zug eine ordentliche Verspätung hatte, ob ich auch einen Anschluß nach Salzburg suche. „Nein“, sagte ich, „ich bin gleich zu Hause, ich wohne in Klagenfurt.“ „Ist das die Stadt, die keine Bibliothek hat?“, fragte der Professor. „Ja“, sagte ich, „das ist die Stadt!“ Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, ich bin schon viel in Europa herumgekommen, meine Bücher werden in 17 Sprachen übersetzt, bald erscheint eines auf Bulgarisch. Muß ich denn demnächst auch in Sofia sagen, daß Klagenfurt keine Stadtbibliothek hat?

Und, um nun etwas unaufgeregter noch einmal zu Sprache und Schreiben zurückzukehren und zum Schluß dieses Donnerwetterns zu kommen, denn wie ich anfangs schon gesagt habe, müssen wir donnern helfen, wenn wir den Himmel der Bücher und der ersten Stadtbibliothek endlich auch in Klagenfurt sehen wollen. Ich möchte Ihnen noch die berühmten Sätze von Franz Kafka, die er an seine Freundin Milena geschrieben hat, in Erinnerung rufen: „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben…“

Klagenfurt, meine Damen und Herren, ist deshalb so unglücklich, weil es keine Stadtbibliothek hat. Aber nach Tausend und einer Nacht in der Warteschleife wird der Tag kommen, an dem ein unendlich langgezogener Schwarm von mit Büchern beladenen Perserteppichen als den Himmel mit Märchen und Geschichten erhellendes Geschwader Klagenfurt erreicht und die erste Stadtbibliothek von Alâ‘ ed-Dîn mit der Wunderlampe eröffnet wird.

Claudia Fräss-Ehrfeld

Hohe Festversammlung!

Heute vor genau 500 Jahren, am 24. April 1518, wurde die Stadt Klagenfurt vom Kärntner Landesfürsten, dem Habsburger Kaiser Maximilian I., den Landständen geschenkt. Das war der zweite Geburtstag der Stadt. Der erste lag länger zurück: Die Gründung von Klagenfurt erfolgte im 12./13. Jahrhundert durch Kärntner Herzöge aus dem Haus der Spanheimer – wie St. Veit und Völkermarkt auch.
Märkte und Städte mit ihrem Gewerbe- und Handelsmonopol bedeuteten für die Gründer neue Möglichkeiten der politischen und wirtschaftlichen Einflussnahme. Auch die beiden anderen reichsfürstlichen Mächte, die neben dem Herzog in Kärnten mit weitläufigem Besitz ausgestattet waren, Salzburg und Bamberg – auch sie haben ein eigenes Städtewesen aufgebaut: Der Erzbischof von Salzburg förderte besonders Friesach, das so zur wichtigsten Kärntner Stadt im Hohen Mittelalter wurde. Der Bischof von Bamberg puschte seine Stadt Villach, die im 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts alle anderen Kärntner Städte in den Schatten stellte.

Unter den landesfürstlichen Städten nahm St. Veit die Führungsrolle ein; hier residierten ab dem 13. Jahrhundert zeitweise Herzöge. 1335 sind die Habsburger Kärntner Landesfürsten geworden; ab damals gab es in Kärnten nie wieder eine herzogliche Hofhaltung.

1514 hat ein Brand die herzogliche Stadt Klagenfurt stark beschädigt. Bald darauf wurde in einem Kreis visionärer Kärntner die Idee zu einer außergewöhnlichen Initiative geboren: Man ersuchte den Landesfürsten und Klagenfurter Stadtherrn, Kaiser Maximilian I., die Brandruine den Kärntner Landständen, also der großteils dem Adel angehörenden Führungsschicht im Land, zu schenken. Der Kaiser stimmt zu – über den Kopf der Bürger hinweg –, ein Vorgehen, das in der deutschen Rechtsgeschichte einmalig ist. Die Stände verpflichten sich, die Stadt wiederaufzubauen und zu befestigen. Die Gefahr einer türkischen Invasion vom Balkan her war damals akut, Militarisierung und Festungsbau stellten sich als vordringliche Anliegen dar.

Die 665 Wappen hier an den Wänden des Großen Wappensaals im Landhaus repräsentieren die Stände, die von 1518 bis Mitte des 19. Jahrhunderts Stadtherren von Klagenfurt waren. Wer genau waren nun die Landstände? In den kriegerischen Zeiten des ausgehenden Mittelalters hatten Adel und höhere Geistlichkeit Aufgaben übernehmen müssen, die der Landesfürst, Kaiser Friedrich III., Vater Maximilians, nicht allein bewältigen konnte. Solcherart etablierte sich die Institution der Landstände. Sie haben auf den seit damals überlieferten Landtagen dem Landesfürsten gegenüber die Interessen ihres Landes vertreten – in unserem Fall die Kärntner Interessen. Zur „Landschaft“, so die Bezeichnung für die Landstände in ihrer Gesamtheit, gehörten Prälaten – das war die hohe Geistlichkeit –, Adel und, in eingeschränktem Maß, auch das städtische Bürgertum. Dominierendes Element war der Adel, und zwar jener Teil des Adels, der im Land über ausreichend Grund und Boden, Herrschaften, verfügte und davon Steuern ablieferte.

Ohne die Steuern aus den Erbländern konnten die Habsburger nicht mehr regieren und schon gar nicht Kriege führen. Die Stände nutzten ihr Recht der Steuerbewilligung zum Machtausbau. Sie stellten den landesfürstlichen Ämterträgern mit dem Landeshauptmann an der Spitze eine ständische Regierung gegenüber, die bald ein deutliches Übergewicht erlangt hat. Der Landesfürst musste damals die politische Macht mit den Ständen teilen. Er musste ihnen auch – es war die Zeit der Reformation – religiöse Zugeständnisse machen. Kärnten war in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts großteils protestantisch geworden.

Das 16. Jahrhundert ist als „Ständische Epoche“ in die Geschichte eingegangen. Für Kärnten war das eine Zeit, die wie keine davor oder danach von Kraft und Optimismus geprägt war. Die Wirtschaft florierte, sie war im klassischen Bergbauland Kärnten mit seinem Eisen, Blei, Gold und Silber von der damals europaweiten Montankonjunktur getragen. Es kam zu einer geistigen und künstlerischen Blüte, ein großer Teil unseres heutigen kulturellen Erbes – von Porcia über Landskron bis Hochosterwitz – geht auf diese Periode zurück.

Krönende Leistung der „Ständischen Epoche“ war aber eindeutig die Errichtung der ständischen Metropole Klagenfurt, der einzigen auf dem Zeichenbrett geplanten und dann tatsächlich realisierten befestigten Renaissancestadt im Bereich des heutigen Österreich. Sie entstand mit gewaltiger finanzieller Anstrengung der im Land führenden Kräfte – ohne landesfürstliches Zutun –, und sie symbolisiert das Selbstbewusstsein der Bauherren.

In den anderen habsburgischen Erbländern haben sich landesfürstliche Städte zu Hauptstädten entwickelt. In Kärnten schufen sich die Landstände ihre Hauptstadt selbst. Um die habsburgischen katholischen Landesherren in einer Zeit politischer und konfessioneller Gegensätze nicht zu brüskieren, hat man allerdings ständischerseits zunächst die Bezeichnung Landeshauptstadt für Klagenfurt vermieden. Erst im 17. Jahrhundert – als der Protestantismus schon verboten war und die Ständemacht in ihre Schranken gewiesen – erst damals wurde die Bezeichnung Hauptstadt für Klagenfurt allgemein akzeptiert.

Trotzdem hat bereits im 16. Jahrhundert Klagenfurt die Rolle der Landeshauptstadt ausgefüllt: Hier trat der Landtag zusammen, hatten die landesfürstlichen Ämterträger und die ständischen Behörden ihren Sitz, ebenso Münze und Zeughaus und die Landschaftsschule, in der man auf hohem Niveau die Adelssöhne zum Regieren und Verwalten und die Bürgersöhne für eine Tätigkeit als Anwälte, Lehrer und evangelische Prediger ausbildete – wohlweislich im kärntnerisch-ständischen und protestantischen Geist.

Die moderne Festungsstadt Klagenfurt, nach 60 Jahren Bautätigkeit 1591 vollendet, war ein Jahrhundertwerk. Die Landstände hatten sich für die Planung der Stadterweiterung und Fortifikation führende italienische Baumeister geholt. Behutsam wurde das mittelalterliche Klagenfurt um den Alten Platz mit der Neustadt um den zentralen großen, den Neuen, Platz zusammengefügt. Ein den Anforderungen des modernen Militärwesens entsprechender Festungsrhombus mit Basteien für die Geschütze und mit prächtigen Stadttoren umgab das neue Klagenfurt. 200 Jahre später, 1809/10, zerstörten napoleonische Besatzungstruppen die stolze Anlage. Sie hatte ihren militärischen Wert nie beweisen müssen, wohl aber war die Festung zu allen Zeiten ein beeindruckendes Monument der Ständemacht gewesen.

Ständisches und städtisches Selbstbewusstsein und Hauptstadtdenken wurde durch drei ab den 1570er-Jahren errichtete Klagenfurter Bauten besonders manifest: das politische Zentrum Landhaus, Ort der Landtage bis heute, das kirchlich-soziale Zentrum Bürgerspital mit der protestantischen Dreifaltigkeitskirche. Die Kirche ist bald nach ihrer Fertigstellung katholisch gemacht und den Jesuiten übergeben worden, seit 1793 ist sie Kathedralkirche, Dom, der Kärntner Bischöfe. Dritter ständischer Prestigebau neben Landhaus und Kirche war der weitläufige Komplex der Landschaftsschule, heute als „Burg“ bekannt.

Durch die einheitliche Verwendung von Stilmitteln der Spätrenaissance wie Rustika (grob behauene Steine) und Arkaden in diversen Ausformungen, in Kombination mit Türmen, entstanden originelle Lösungen, die bis in unsere Tage bei jedem Betrachter den Eindruck von Importanz, Feierlichkeit und nobler Gediegenheit hinterlassen. Dazu passt auch der damals geschaffene Lindwurm – er steht als „monumentalisiertes Wappentier“ der Stadt auf dem Neuen Platz.

Das Areal des neuen Klagenfurt innerhalb des Festungsvierecks war siebenmal so groß wie die mittelalterliche Stadt. Die politisch tätigen Kärntner Adeligen und Prälaten, darunter Äbte der großen Klöster, errichteten hier ihre Stadtresidenzen als Zweitwohnsitze neben den Familienschlössern auf dem Land. Nicht nur im 16. Jahrhundert, sondern auch später, als im Barockstil gebaut wurde.

Im Schutz und Schatten des adelig-ständischen Stadtlebens hat sich auch die „Bürgerstadt“ Klagenfurt gut entwickelt. Man verwaltete sich selbst und profitierte vom politischen und kulturellen Aufbruch. Während die anderen Kärntner Städte bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts nicht an Bevölkerung zulegten, ist Klagenfurt gewachsen.

Als Hauptstadtbewohner hatten die Klagenfurter Bürger immer direkten Anteil an den wichtigen Ereignissen der Kärntner Geschichte – im guten wie im schlechten Sinn.
Durch die Reformen Maria Theresias im 18. Jahrhundert wurden die Landstände entmachtet. Joseph II. hat 1782 die Kärntner Landesbehörden aufgelöst und Kärnten verwaltungsmäßig Graz unterstellt. Klagenfurt war nicht mehr Landeshauptstadt, nur noch Kreisstadt.

Aber es kam noch schlimmer. In der Franzosenzeit wurde Klagenfurt dreimal besetzt – 1797, 1805/06 und 1809/10. 1797 war Napoleon persönlich in der Stadt und hat in einem Palais in der Herrengasse übernachtet. Da konnte die Legendenbildung nicht ausbleiben: Die „Liaison“ des großen Napoleon mit der reizenden Klagenfurterin Scholastica Bergamin ging sogar in die Literatur ein.

Napoleon hat für Kärnten eine Zentralregierung dekretiert, bestehend aus Beamten, Vertretern der Stände und Klagenfurter Bürgern. Sie ist am 31. März 1797 hier im Wappensaal vom Chef des französischen Generalstabs, dem späteren Marschall und Fürsten von Wagram Louis Berthier, eingesetzt worden.

Der für Österreich desaströse Frieden von Schönbrunn 1809 brachte die Teilung Kärntens – Unterkärnten, der Klagenfurter Kreis, blieb österreichisch und war Graz unterstellt, Oberkärnten, der Villacher Kreis, gehörte zu den französischen Illyrischen Provinzen und wurde von Laibach aus verwaltet. Teilung bzw. Fremdverwaltung blieben bis 1848. Erst mit der Reichsverfassung von 1849 wurde Kärnten wieder selbständiges Kronland und Klagenfurt wieder Hauptstadt. Der Jubel war groß.

Schwierige Zeiten für die Stadt gab es auch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch der Monarchie. Quälende Unsicherheit im Magistrat – wird Klagenfurt jugoslawisch besetzt werden oder nicht? Es wurde – im Juni und Juli 1919. Groß dann die Freude, als nach der Volkabstimmung im Oktober 1920 auf dem Neuen Platz das Ergebnis verkündet wurde.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs gewinnt die britische Besatzungsmacht den Wettlauf nach Klagenfurt. Die Jugoslawen kommen Stunden später und müssen noch im Mai 1945 wieder abziehen. Ab den späten 1950er-Jahren trumpft die Stadt mit Innovationen auf – Einzug der Moderne mit Hokes Bahnhofsfresken, erste Fußgängerzone Österreichs, Europapark, Gründung der Universität, neuer Wind im
Stadttheater, Woche der Begegnung. Darauf baut vieles auf, das bis heute für Modernität bürgt.

2016/17 schließlich ist die magische Zahl von 100.000 Einwohnern erreicht, damit die Schwelle zur Großstadt überschritten worden. Es sind aber weniger die Einwohner- Zahlen, die eine Großstadt ausmachen, als die „Öffnung zur Welt“. Dass diese offene Grundhaltung das Leben der Stadt weiterhin präge – das wünsche ich mir für die nächsten 500 Jahre meiner Stadt!

Konrad Paul Liessmann: 'GESELLSCHAFT IM UMBRUCH, STADT IM WANDEL'

Die Erinnerung an ein Ereignis, das 500 Jahre zurückliegt und die Geschichte und Bedeutung der Stadt Klagenfurt wesentlich bestimmte, mag Anlass sein, sich zu überlegen, was diese lange Geschichte für die nahe oder ferne Zukunft bedeuten mag. Vergangenheit ist für eine Stadt nämlich immer mehr und prinzipiell etwas anders als das, was in Archiven und anderen Gedächtnisspeichern lagert. Eine Stadt wie Klagenfurt, die heute auf ein halbes Jahrtausend zurückblicken kann, ist durch einige Charakteristika gekennzeichnet, an denen sich auch die zukünftige Entwicklung und Bedeutung solch einer Stadt erahnen lassen. Klagenfurt zählt zu einem Typus der europäischen Stadt, der durch seine historische Tiefendimension gekennzeichnet ist. Ihre Wurzeln reichen bis ins Mittelalter zurück. Was aber bedeutet diese Geschichtlichkeit für eine moderne europäische Stadt? Unmittelbar sind viele Städte durch die Schichten der Vergangenheit geprägt: An der Anlage, dem Stadtkern, den Bauten, manchen Straßenverläufen lässt sich bis heute die wandelnde Geschichte einer Stadtablesen, die gleichzeitig in ihrer Erscheinungsform verschiedene Epochen repräsentiert. Städte in diesem Sinne sind Speicher des kollektiven Gedächtnisses, Erinnerungsorte im Wortsinn, die nicht nur an Vergangenes gemahnen, sondern auch – insofern diese Zeugen der Vergangenheit noch funktionsfähig und Teil des aktuellen Stadtlebens sind – augenfällig demonstrieren, wie Vergangenes weiter leben kann. Keine Stadt also ohne Stadtgeschichte, nur in der Stadt fügen sich die Schichten der Geschichte zu einem lebenden Ensemble, zu einer Einheit, an der immer weiter gebaut wird. Sich dessen bewusst zu sein, und in der Stadt, in der man lebt, auch diese Dimension geronnener europäischer Erfahrungen wahrnehmen zu können, ohne der Gefahr der Musealisierung zu erliegen, muss eine wesentliche Aufgabe einer Stadtpolitik sein, die sich der Bedeutung der Städte als lebendes Gedächtnis bewusst sein will.

Die Stadt dieses Typs, und das hat natürlich auch mit ihrer Entstehungsgeschichte zu tun, definiert sich durch die Differenz zu ihrem Umfeld: dem Land. Städte haben Grenzen, weniger scharf formuliert: Ränder. Nur dort, wo man auch am Stadtrand leben kann, handelt es sich im strengen Sinn um Städte. Das hat viel mit der ursprünglichen politischen Verfasstheit von Städten zu tun, ihren Sonderrechten, ihren Privilegien, ihren autonomen Verwaltungs- und Regierungsformen, nicht zuletzt auch mit ihrer ökonomischen Verfasstheit: In den Städten wird gehämmert und gehobelt, gehandelt und gefeilscht, neben der Kirche ist der Markt ihr eigentliches und erstes Zentrum, die Stadt ist der Ort des Handwerks und der kommunalen Bürokratien, die Lebensmittel

aber werden außerhalb der Stadt produziert und müssen in diese transportiert werden. All das verlangt ein klares Bewusstsein davon, wo eine Stadt beginnt und wo sie endet. Auch dort, wo der militärische Nutzen von Stadtmauern nicht mehr ersichtlich war, deuteten dieser Mauern lange diese Grenzen an, stärker vielleicht noch die Stadttore, die eindeutig signalisierten: Nun befindet man sich innerhalb eines ganz bestimmten Rechtsraumes, einer spezifischen Struktur des Lebens, in der andere Gesetze und Sitten gelten als am Land.

Viele Städte sind in den vergangenen 150 Jahren rasant gewachsen, haben alle vorhandenen Grenzen gesprengt, sind – wo immer es ging – weit ins Umland vorgedrungen, haben dieses eingemeindet, und aus ehemaligen Dörfern vor den Städten wurden neue Stadteile und Bezirke. Noch entscheidender aber ist eine Entwicklung, die in manchen europäischen Regionen mehrere Städte zu riesigen Siedlungskonglomeraten zusammenwachsen lässt, ein Prozess der Verstädterung ganzer Landschaften, der doch, neben aller Logik des Wachstums, die diesem Prozess innewohnt, eine Reihe von Problemen aufwirft.

Neben dem eher atmosphärischen Problem, dass man nicht mehr weiß, wann man die eine Stadt verlässt und die andere betritt, neben Fragen der Koordination kommunalpolitischer Aufgaben zwischen zusammenwachsenden Städten entstehen dadurch Siedlungsräume neuen Typs, die zwar aus historisch gewachsenen und definierten Städten entstehen, selbst aber ganz neue Strukturen bilden. Urbanisierung meint in diesem Sinn die Ausdehnung städtischer Lebensformen über große Regionen, ohne dass städtisch-kulturelle Binnendifferenzierungen sichtbar würden: Urbanisierung ohne Urbanität. Anstelle einer gegliederten Stadtlandschaft wird die Landschaft zur Stadt, geprägt von Straßen, Siedlungen, Tankstellen, Shops und Gewerbebetrieben. Möglich, dass wir deshalb auch den Stadtcharakter an Orten stärker wahrnehmen, wo solche Prozesse der Entgrenzung aufgrund natürlicher Bedingungen schwer oder kaum möglich sind, und deshalb der Signalcharakter von Konturen erhalten geblieben ist. Klagenfurt hat das besondere Glück, in eine Landschaft eingebettet zu sein, die den Reiz einer Stadt gerade im Kontrast zu ihrer Umgebung sinnfällig werden lässt: Durch den Wörthersee und die angrenzenden Höhenzüge sind markante Bezugspunkte gegeben, die auch einen ästhetischen und ökologischen Mehrwert darstellen, der sorgsam gepflegt, beworben und entwickelt werden sollte, stellt er doch in erster Linie auch ein Mehr an Lebensqualität dar.

Eine Stadt ist nämlich immer mehr als eine Agglomeration von Wohnbauten; eine Stadt ist mehr als eine Ansammlung von Menschen; eine Stadt ist mehr als ein Geflecht von Straßen; eine Stadt ist mehr als eine Anhäufung von Geschäften; eine Stadt ist mehr als eine nicht abreißbare Kette von Verkehrsströmen, die sich immer wieder zu Staus verdichten. Eine Stadt ist eine spezifische Form der Organisation menschlichen Lebens und Zusammenlebens, und trotz aller Wandlungen, die eine Stadt wie Klagenfurt in ihrer Gestalt und ihrer Funktion, in ihren Rhythmen und in ihrer Identität erfahren haben, hält sich etwas durch, das man schlechthin den Geist der europäischen Urbanität nennen könnte. Eine Stadt, nahezu an der Schnittstelle von drei Kulturen, ist wie wenig andere prädestiniert, diesem europäischen Geist einen Ausdruck zu verleihen.

Urbanität meinte nie nur ein verdichtetes Siedlungsgebiet, sondern stets eine spezifische Form von Kultiviertheit. Für die antike und mittelalterliche Rhetorik bezeichnete Urbanitas einen bestimmten Schreib- und Sprachstil, der durch Eleganz, Subtilität, Witz, Einfallsreichtum gekennzeichnet war. Die Weltläufigkeit und Toleranz, die man bis heute gerne als urbanes Verhalten beschreibt, haben in dieser Urbanitas eine ihrer Wurzeln. Nur in der Stadt lassen sich diese Eigenschaften und Tugenden ausbilden, nur in einer Stadt mit ihren vielfältigen Erfahrungs- und Begegnungsmöglichkeiten gibt es diese spezifische Form einer Kultiviertheit. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass ein wesentlicher Teil unserer politischen demokratischen Kultur auf diesen autonomen, abgegrenzten Rechtsraum der Städte zurückzuführen ist. Die Demokratie ist eine Erfindung der Polis, der antiken griechischen Stadt, die sich als politische Einheit verstand. Die Idee und der Begriff der Politik selbst gehen auf diese Deutung der Stadt zurück, ebenso der Bürger, der unabhängige Gerichtshof, die Versammlung als politisches Gremium, auch die Idee, dass Städte als Subjekt und Objekt politischen Handelns in ihrer Entwicklung nicht dem Zufall überlassen werden dürfen, sondern dass die Bürger einer Stadt auch über deren Gestalt und die Regeln, die in ihr gelten, bestimmen sollen.
Es ist nicht die territoriale Flächenherrschaft, die vielleicht älter ist als die Stadt, es ist auch nicht das Netz persönlicher Abhängigkeiten, das die feudalen Herrschaftsformen bis an die Schwelle zur Moderne kennzeichnete, es ist die selbstbewusste Stadt, die zum Modell für moderne politische Strukturen wurde. Städte sind der genuine Ort der Politik, und Städte haben deshalb eine besondere Rolle in einer Zukunft, in der staatliche Organisationsformen durch den Prozess der europäischen Einigung, durch den Wandel der Arbeitswelt, durch die Dynamik der Märkte, durch Migrationsbewegungen, durch die noch immer zunehmende Mobilität von Waren, Kapital und Menschen an Bedeutung verlieren. Eine Stadt wie Klagenfurt sollte durchaus mit Selbstbewusstsein ihre Lage zwischen der Eingebundenheit in eine definierte Regionalität und den Möglichkeiten, eigenständig politisch zu handeln, als Chance sehen und nützen.

Die gewachsene europäische Stadt ist allerdings noch durch eine weitere Differenz charakterisiert: Die zwischen Zentrum und Peripherie. Historisch gewachsene Städte haben definierte Zentren, oft entstanden aus den mittelalterlichen Stadtkernen, mit zentralen Plätzen, Märkten und den Repräsentationsbauten der verschiedenen Epochen: Politische Verwaltungsgebäude, religiöse Bauten, Theatern, Schulen und Banken. Die Differenz von Zentrum und Peripherie berührt dabei ganz wesentlich jenen Aspekt, denn wir bis heute mit dem Begriff der Urbanität, sofern wir diesen positiv besetzen, verbinden: Kultur. Natürlich: Die Kultur ist keine Erfindung der Stadt, und der Anteil der Kirche, der Klöster, der Fürstenhöfe an der Entwicklung der europäischen Kultur ist höchst bedeutsam. Aber Kultur in einem modernen Sinne, als Ausdruck ästhetischer Autonomiebestrebungen, als Repräsentation bürgerlichen Selbstbewusstseins, als Manifestation kritischer Stellungnahmen, als Kommunikations- und Lebensstil, als Schnittpunkt von Sprachen und Literaturen, lebt von den Verdichtungsmöglichkeiten, die sich in gewisser Weise nur in Stadtzentren ergeben.

Als prägendes Element einer Stadt ist Kultur tatsächlich ein relativ spätes Phänomen, vieles, was das kulturelle Leben und die Architektur von Stadtzentren bis heute prägt – Museen, Theater, Konzertsäle, Opernhäuser, Galerien, Bibliotheken, Schulen, Universitäten – stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist auch Dokument der Ablösung des aristokratischen Lebensstils durch die städtische Welt des Bürgers. Und bis heute ist man geneigt zu sagen, dass eine Stadt ohne diese Einrichtungen, also ohne Theater, ohne Bibliothek, ohne Konzerthaus, ohne Bildungsstätten, eigentlich keine Stadt ist. Ob multifunktionale Neubauten, die viele dieser Aspekte in sich vereinen sollen, ein guter oder ausreichender Ersatz für das Fehlen dieser Institutionen bzw. ihrer architektonischen Realisationen sein kann, bleibe einmal dahingestellt. Zum unverwechselbaren Bild einer gewachsenen Stadt gehört aber eine Infrastruktur, die eben nicht darin besteht, dass die immer gleichen Geschäfte und Buden der immergleichen Konzerne die immergleichen Fußgängerzonen und Shopping-Malls bevölkern, sondern dass auch in diesen Bereichen – Restaurants, Geschäfte, Boutiquen, Schaufenster, Caféhäuser – traditionelle und unverwechselbare Einrichtungen mit den unvermeidlichen Konsequenzen der Globalisierung eine vielleicht spannungsreiche, aber doch Synthese eingehen können. Fasst man Kultur nicht nur als bürgerliche Repräsentationskunst auf, sondern als jenes Feld, indem sich überlieferte und moderne Lebensformen, Tradition und Innovation, Kreativität und Reproduktion, Erinnerung und Antizipation, ästhetisches Vergnügen und die Lust am Neuen gegenseitig bedingen und befruchten, und betrachtet man dies als einen zentralen Aspekt von Urbanität, dann wird auch klar, dass Kommunalpolitik eben nicht nur Wirtschafts- und Sozialpolitik, nicht nur Verkehrs- und Gesundheitspolitik, sondern in einem umfassenden Sinn immer auch Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturpolitik sein muss. Gerade in einer Welt, der sich aufgrund der Digitalisierung und Automatisierung der Charakter der Arbeit radikal wandeln wird, in der Wissenschaft und Technik unser Leben und Denken radikal wandeln, in der Kreativität, Phantasie und die Experimente mit neuen Formen der Kommunikation und der Ästhetisierung des Alltags zu entscheidenden Faktoren des Lebens werden, gewinnt eine Stadt an Attraktivität, vor allem für junge und neugierige Menschen, wenn sie diese Entwicklungen nicht nur zulässt, sondern selbst gestaltet und mitgestaltet. Das aber bedeutet, manchen Entwicklungen durchaus auch mit Skepsis gegenüber zu treten.

Die Verschwisterung der Dynamik einer Stadt mit der Offenheit gegenüber modernen Technologien wird aktuell sinnfällig im Begriff der Smart City. Die Städte der Zukunft sollen smart sein. Was dies genau bedeutet, müsste allerdings noch diskutiert werden. Gemeinsam ist allen Konzepten von stadtplanerischer “Smartness” vorrangig die Verschränkung digitaler Technologien mit der Organisation und Gestaltung von Urbanität. Es handelt sich bei diesem Konzept also nicht nur um die Frage der Implementierung neuer Technologien in die Infrastruktur einer Stadt. Der Einsatz digitaler Technologien etwa zur effizienten Steuerung des Verkehrs oder des Energieverbrauchs wird dafür noch nicht genügen. Entscheidend ist, ob smarte Technologien Lösungen versprechen, die den Bürger letztlich daran hindern, für die Formen urbanen Zusammenlebens ein Problembewusstsein zu entwickeln, oder ob smarte Technologien eingesetzt werden, um Probleme, Verantwortungsketten, ökonomische und soziale Zusammenhänge überhaupt erst sichtbar zu machen und damit dem Leben und dem Handeln in einer Stadt wesentliche Impulse zu geben.

Smarte Konzepte sind deshalb nicht ohne Tücken. Zur Logik smarter Technologien gehört es, dass sie nicht nur effiziente und kostengünstige Lösungen in Bereichen wie Energie, Verkehr, Informationshaushalt einer Stadt versprechen, sondern dies nur über eine Zunahme an Kontrolle und Steuerung erreichen können. Smarte Systeme verbessern das Leben der Menschen, weil diesen keine Alternativen, damit keine Entscheidung, damit keine Freiheit mehr zugemutet und gestattet wird. Smarte Technologie stellen ihrer Logik nach auch stets ein Sicherheitsrisiko dar und verlangen umfassende Sicherheitsmaßnahmen, die insgesamt eine Stadt zu einem Ort der Kontrolle und Selbstkontrolle machen können. Ob eine Smart City als Utopie oder als Dystopie begriffen wird, hängt wesentlich davon ab, wie man unter einer politischen Perspektive die Potentiale digitalisierter Urbanität einschätzt. Technik löst manchmal, aber nicht immer jene Fragen des Zusammenlebens, die für eine Stadt charakteristisch sind.

Städte sind immer auch die Orte gewesen, an denen es einerseits möglich wurde, dass viele Menschen zusammenleben, was andererseits aber auch eine Binnendifferenzierung in unterschiedlicher Weise und in mitunter prekärer Intensität erlaubte, ja vielleicht notwendig machte. Das gilt auch für Klagenfurt. Städte sind die Orte, in denen Verschiedenstes eine Einheit bilden kann. Die unterschiedlichen sozialen Schichten finden sich ebenso in einer Stadt wie die Angehörigen verschiedener Religionen, Ethnien, Sprachgemeinschaften, Berufsgruppen, Altersschichten oder Lebensstile. Städte sind so immer auch höchst differenzierte und komplexe soziale Arrangements von Menschen unterschiedlicher Prägung. Das ist ihre große Chance, aber auch ihre große Herausforderung. Und das provozierte immer schon die Frage, wie diese Unterschiede im alltäglichen Leben einigermaßen konfliktfrei arrangiert werden können.

In den Städten kommt alles zusammen und muss sich doch voneinander scheiden, Arm und Reich, Jung und Alt.
Traditionelle Wohnformen in eng umgrenzten innerstädtischen Arealen – z.B. die bürgerlichen Wohnbezirke und die Arbeiterviertel – werden hier ergänzt und zum Teil abgelöst von neuen Zuschreibungen als Resultat dynamisierter sozialer Prozesse: Ganze Stadtteile können durch Verarmung abgewertet, andere, die als “angesagte” Wohngegend von einer kaufkräftigen, meist jüngeren Klientel entdeckt werden, können rasante Aufstiege erleben. Die Immobilienpreise und Investitionsvorhaben sind meist ein guter Indikator für solche Entwicklungen. Solange es soziale Differenzen geben wird – und sie werden in naher Zukunft zunehmen –, wird die Stadt auch der Ort sein, wo diese in aller Schärfe sichtbar sein werden. Solange es eine kommunale Politik gibt, die die Macht und die ökonomischen Ressourcen hat, in solche Prozesse korrigierend, mitunter vielleicht sogar gestaltend einzugreifen – durch Stadtteilsanierungen, Durchmischungsprojekte, Schaffung von Verkehrsanbindungen, Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und zur Hebung des Bildungsniveaus, Maßnahmen zur Stärkung des Bewusstseins, bei aller Differenz Bewohner einer Polis zu sein – , können solche Differenzen auch einen durchaus dynamisierenden Charakter haben. Man zog immer schon in die Stadt, um dort sein Glück zu versuchen, an einen Ort, der gerade aufgrund seiner Heterogenität mehr Chancen bietet als jede andere Form des Zusammenlebens. Dort aber, wo die divergierenden sozialen Kräfte nicht mehr kontrolliert werden können, die legalen und illegalen Märkte ihre eigene Dynamik ungebremst entfalten, kein Ausgleich mehr versucht werden kann, und das Gefühl der Unsicherheit zunimmt, verspielen Städte ihre Chance.

Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Sicherheit gehört zu den grundlegendsten Bedürfnissen der Menschen. Politische Ordnungen, von kleinen Stammes-, Dorf- und Jagdgemeinschaften, wie sie bereits in der frühesten Zeit der menschlichen Zivilisation bestanden haben, über die ersten Formen von Territorialherrschaften und staatsähnlichen Gebilden bis hin zu unserer modernen öffentlichen Struktur mit Städten und politischen Verwaltungen, wurzeln zu einem wesentlichen Teil in diesem Sicherheitsbedürfnis. Sicherheit ist allerdings auch eine emotionale Angelegenheit. Unsicherheitsgefühle sind nur schwer zu beseitigen. Wir fürchten uns vor einer ungebändigten Natur. Ein Großteil dessen, was wir Zivilisation nennen, hat den Sinn, die Natur zu zähmen. Städte erleben wir als Räume dieser gezähmten Natur, die keine Gefahr mehr darstellt.
Deshalb sind wir besonders beunruhigt, wenn auch moderne Städte Opfer von Naturkatastrophen durch Feuer, Überschwemmungen, Stürme und Erdbeben werden können und setzen auf jene kommunalen Einrichtungen und Einsatzkräfte, die uns Sicherheit zu geben vermögen.

Unter bestimmten Umständen fürchten wir uns aber auch vor unsresgleichen. Wir müssen uns selbst gegenüber unseren Artgenossen zähmen. Kriminalität, Aggressivität im Straßenverkehr, Gewalt in öffentlichen und privaten Räumen – das beunruhigt uns. Deshalb intensivieren in Sicherheitssysteme und Sicherheitskontrollen aller Art. Ab einem gewissen Punkt geht Sicherheit jedoch auf Kosten von Freiheit. Polizeipräsenz, Überwachungskameras und manche Effekte der Smart Cities sollen Sicherheit demonstrieren, schränken aber auch ein und tragen das Potential zu einer unfreien Kontrollgesellschaft in sich. Es ist die Aufgabe der kommunalen Politik, die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu halten.

Die dritte große Angstquelle ist aber die Zukunft. Denn diese kennen wir nicht. Gerade weil die Zukunft so unbeherrschbar ist, wollen wir sie nicht nur durch Prognosen, sondern vor allem durch Eirichtungen, auf die wir uns auch Zukunft verlassen können wollen, sicherer machen. Dazu gehören große Errungenschaften des Sozialstaates wie Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung oder die Pensionsvorsorge. Dazu gehören aber all jene kommunalen Einrichtungen, die dafür sorgen, dass auch in Zukunft Kranhäuser und Kinderbetreuungsstätten, Altersheime und Schulen zur Verfügung stehen werden. Und die Frage, ob in einer Gesellschaft, die durch Automatisierung und den Einsatz künstlicher Intelligenz einen radikalen Wandel erleben könnte, die Grundvoraussetzungen des Lebens der Menschen noch sicher sind, wird eine großen Fragen der nahen Zukunft sein, der sich auch und vorrangig die Städte, wo sich dieser Wandel früh und dramatisch zeigen wird, stellen müssen.

Der demographische Wandel wird eine Stadt in Zukunft vor zusätzliche Herausforderungen stellen. Dass immer mehr Menschen ein hohes, ja sehr hohes Alter erreichen, ist sicher eine positive und erwünschte Entwicklung. Dass dieses Alter auch eine Reihe von Fragen aufwirft, die auch als kommunalpolitische Fragen begriffen werden müssen, ist vielleicht noch zu wenig ins allgemeine Bewusstsein gedrungen. Die Infrastrukturangebote einer Stadt müssen auf den Lebensstil und z.B. das Mobilitätsverhalten von rüstigen, ökonomisch potenten und unternehmungslustigen Senioren ebenso reagieren wie auf Fragen der altersbedingten Krankheiten und der zunehmenden Pflegebedürftigkeit von immer mehr Menschen.

Und auch hier ist klar: Gerade eine mittelgroße Stadt wie Klagenfurt kann auf diese Entwicklung rascher und genauer reagieren als große Stadtkonglomerate oder ländliche Regionen. Es wird in Zukunft keine Schande sein, eine Stadt nicht nur für junge, dynamische Menschen, sondern auch für Senioren attraktiv zu machen, den letztere werden die Mehrheit der Bevölkerung darstellen.

Solch eine Politik sollte aber nicht oktroyiert werden, sondern selbst Ausdruck des politischen Vermächtnisses einer Stadt sein. Eine Stadt ist immer auch mehr als ein Raum zum Angebot und zum Konsum von Dienstleistungen. Traditionelle kommunale Aufgaben wie Wasser- und Energieversorgung, Müllabfuhr und Straßenreinigung, aber auch soziale und kulturelle Einrichtungen wie Kindergärten und Schwimmbäder, Gesundheitszentren und Sozialbauten, Betreuungsstätten und Pflegeinrichtungen, Büchereien und Fußballstadien können deshalb nie nur unter dem Aspekt der ökonomischen Effizienz gesehen werden. Die Bindung und Einbindung der Bürger in eine Stadt, das Bewusstsein, Teil einer Stadt als eines politischen und gesellschaftlichen Gefüges zu sein und sich deshalb auch in Maßen für diese Stadt verantwortlich zu fühlen, hängt von eben jenen “städtischen” Institutionen, ihren Angeboten, Leistungen und identitätsstiftenden Effekten ab.

Die Vorteile solch einer Stadt liegen auf der Hand. Sie ist nicht so groß wie jene Metropolen und Megacities, die Urbanität durch schiere Größe und den damit verbundenen Problemen gefährden, sie ist aber vielleicht doch groß genug, um die Vorteile einer überschaubaren Struktur und Lage mit den Möglichkeiten moderne Urbanität zu verbinden. Historische Traditionen und innovative Stadtplanung können dabei eine produktive und spannungsreiche Verbindung eingehen und das Wechselspiel einer intakten und ästhetisch reizvollen Umwelt mit den Erfordernissen eines durch Mobilität und Technik gekennzeichneten Lebens und Zusammenlebens eröffnet nicht nur für die Wirtschaft und den Tourismus veritable Chancen. Ohne Pathos ließe sich abschließend sagen: Eine Stadt wie Klagenfurt kann nicht nur auf eine jahrhundertalte Geschichte zurückblicken, einer Stadt wie Klagenfurt gehört auch die Zukunft.

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